"Wir können den Wind nicht drehen, aber das Segel neu setzen" - Ein Zuversichts-Essay
20.09.2023 13:04
Wir leben in einer Zeit der multiplen Krisen. Nach den herausfordernden Jahren der Pandemie, werden wir nun nahezu täglich mit Kriegen konfroniert. Viele von uns leiden empathisch mit den von Krieg und Terror betroffenen Menschen in der Ukraine oder im Nahen Osten mit. Wie soll da nicht Zuversicht und Hoffnung verloren gehen, angesichts der täglichen Schreckensmeldungen? Vermutlich haben schon viele von uns, z.B. in den letzten Jahren der Pandemie, auch ganz persönliche Krisen durchlebt. Ich hatte 2008 eine existenzielle Lebenskrise. Heute kann ich aber sagen, ich habe sie gut gemeistert und geholfen hat mir dabei die Zuversicht. "Wir können den Wind nicht drehen, aber wir können das Segel neu setzen." Diesen Gedanken hat mir meine Therapeutin mitgegeben und ich finde, er ist ein schönes Bild für die Zuversicht. Was also ist „Zuversicht“? Und wie unterscheidet sie sich von „Hoffnung“? Beides bedeutet, der Möglichkeit Raum zu geben, dass eine Situation, eine Entwicklung auch wieder gut werden kann. "Zuversicht ist eine innere Kraft, die vieles zum Positiven verändern kann."* Deshalb ist Zuversicht für mich etwas Aktives. Sie motiviert mich zu handeln, mein Schicksal anzuschauen und mich zu fragen, wie ich es annehme, was ich jetzt daraus mache. Im Gegensatz dazu ist für mich Hoffnung etwas, das mir von „oben“ zufällt, etwas, das ich nicht in der Hand habe. Sowohl zur Zuversicht als auch zur Hoffnung gehören Geduld und Mut. "Hoffnung bedeutet dem Erhofften den Weg zu bahnen – sich dem Erhofften aktiv zuzuwenden, bedeutet Zuversicht."* "Die Hoffnung ist zukunftsorientiert. Die Zuversicht entfaltet aber im Hier und Jetzt ihre Wirkung, und zwar unabhängig davon, ob ich das erhoffte Ziel erreiche oder nicht, denn Zuversicht bedeutet, mich von meinen Werten leiten zu lassen, nicht von der Aussicht auf Erfolg."* Deshalb lässt mich Zuversicht nicht resignieren – es geht ja um meine innere Werteeinstellung, die ist unabhängig davon, ob es ein Happy End geben wird oder nicht. Von dieser Zuversicht lassen sich z.B. die Klimaschutzaktivist:innen oder die Friedensaktivist:innen leiten und auch ich habe mich davon leiten lassen, in meiner schwersten Lebenskrise. Von der Überzeugung, dass das, was ich tue, wer ich bin, Wert hat. Hoffnung und Zuversicht sind beide mit einer Entscheidung verbunden. Immer wieder musste ich mich neu entscheiden, mich fragen: auf welcher Seite stehe ich? Auf der Seite der Angst – oder der Zuversicht? Auf der Seite des Zweifels oder des Mutes? Und was davon tut mir gut? Nelson Mandela drückte es so aus: „Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnungen widerspiegeln, nicht deine Ängste!“ Eine bewusste Entscheidung zur Zuversicht bedeutet, "ich will mich einer schwierigen Situation stellen und lernen, wie ich ihr zuversichtlich entgegentreten kann."* In meiner Lebenskrise war ich gezwungen einen ganz neuen Lebensweg einzuschlagen, einen neuen Beruf zu erlernen. Dass mir das alles leichtgefallen ist, wäre gelogen, aber: meine Neuorientierung stimmte mit meiner inneren Wertehaltung überein und deshalb war ich zuversichtlich, das Richtige zu tun. Nähren musste ich meine Zuversicht mit geeigneten Strategien gegen meine Angst vor der Ungewissheit. Während meiner Krise wollte ich viel gehen, schon frühmorgens. Dabei konnte ich meine Gedanken ordnen, Schritt für Schritt. Das aktiviert die Gehirnstrukturen und schüttet Glückshormone aus. Ich wurde zuversichtlicher, mein Blick, mein „Ausblick“ hat sich geweitet, denn beim Gehen entstehen Denk- und Lösungswege und neue Perspektiven tun sich auf. In dem Wort „Zuversicht“ steckt übrigens das Wort „Sicht“. Nur mit Zuver-Sicht können wir auch im Nebel der Ungewissheit vorwärtskommen, langsam, Schritt für Schritt. Soweit die Sicht eben reicht. Wer eine Krise erlebt, die einem sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegzieht, hat das Gefühl ins Bodenlose zu fallen. Bei mir war es so. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich ständig Schritte ins Leere gemacht habe, voller Unsicherheit und Ungewissheit. Erst, als ich mich wirklich darauf eingelassen habe, dieses „Niemandsland“ zu betreten, habe ich entdeckt, dass sich Schritt für Schritt ein Weg bahnt, so wie Hilde Domin schrieb: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft, und die trug.“ Die Zuversicht kann dabei die Brücke sein über das bodenlose Nichts. Meine Therapeutin hatte mir oft gesagt: Haltung gibt Halt. Sie meinte damit sowohl die innere Wertehaltung als auch eine aufrechte Körperhaltung. Und auch die Zuversicht braucht eine aufrechte Haltung. Ich habe gelernt, präsent zu sein im Augenblick. Das bedeutet, gut verankert zu sein im Hier und Jetzt. Der Körper kann wie ein Anker wirken und damit Halt geben. "Jede Krise hat eine mehrzeitliche Ebene: die Vergangenheit kann ich nicht mehr rückgängig machen, die Zukunft ist ungewiss und kann ich nur bedingt beeinflussen, aber im Hier und Jetzt kann ich gestalten."* Gestalten kann ich, wenn ich mir meiner Ressourcen bewusst bin und diese wirken wie „Zuversichtsverstärker“. kreativ werden – weg vom Gedanklichen hin zum Handwerklichen, zum Kreativen: Klavier spielen, malen, mit Ton arbeiten, tischlern, gärtnern. Die Hände signalisieren uns Hand-lungsfähigkeit und wir fühlen uns nicht mehr hilflos ausgeliefert. singen – mit sich im Einklang sein, die eigene Resonanz spüren – in Selbstresonanz sein; singen löst bei mir Wohlgefühle aus, meinem Gehirn werden sofort positive Gefühle signalisiert. schreiben – schreiben schafft Distanz, ich kann reflektieren, im Schreiben kann ich meine Befürchtungen, meine Sorgen auf Papier bannen, raus aus meinem Kopf nehmen – unter Umständen kann ich sogar Probleme schriftlich lösen, belastende Szenen umschreiben, ändern – ich kann kreativ umgehen mit allem, was ich schreibe – so erlebe ich mich als handlungsfähig. Etwas Bedrängendes vom Kopf auf Papier zu bannen, schafft Distanz und kann befreiend sein. Freunde und Freundinnen, vertrauensvolle und haltgebende Beziehungen – in Beziehung bleiben, auch wenn es in der Krise nicht einfach war. Wer hört sich schon gern Probleme an? Wer erträgt schon die Trauer seines Nächsten? Ich habe mir ein Beziehungsnetz geschaffen, von mehreren Freunden und Freundinnen. Hatte mal eine:r keine Zeit oder war nicht erreichbar, so habe ich den Nächsten oder die Übernächste angerufen. Irgendjemand hatte dann Zeit und den Mut sich meine Sorgen anzuhören, oder mit mir zu reden. Menschen, die mir in meiner Krise etwas zutrauten, die trotz all meiner Trauer und Unsicherheit an mich und meine Fähigkeiten glaubten, empfand ich als großes Geschenk. Tagesstruktur war für mich wichtig. Ich war alleinerziehende Mutter. Ich musste da sein für meinen Sohn – die damals bereits erwachsene Tochter, was schon aus dem Haus. Meine Zuwendung zu meinem Sohn zwang mich in eine Struktur und da zu sein für ihn. Auch meine Arbeit in Theaterproduktionen, mein neues Studium und meine ehrenamtlichen Tätigkeiten haben mir Struktur und Halt geben und waren somit Zuversichtsverstärker. Dankbarkeit - Zuversicht beginnt mit Dankbarkeit für alles, was in meinem Leben gut gelungen ist und mit dem Erinnern, dem Bewusstsein darauf, dass was einmal gut gelungen, gut geworden ist, auch wieder gut gelingen, gut werden kann. „Hoffen ist erinnern in die Zukunft hinein.“ Melanie Wolfers Der Zuversichtsverstärker Humor schafft eine heilsame Distanz zu einem scheinbar unlösbaren Problem und kann in schwerwiegenden Krisen "zumindest eine Atempause verschaffen."* Meine Spiritualität, mein Festhalten an meinem Glauben, trotz aller Zweifel, hat mich ermutigt und mir Zuversicht gegeben: Gott wird mich nicht fallen lassen und nicht der Verzweiflung ausliefern. „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich beim Namen gerufen, du bist mein!“ Spiritualität kann eine Kraftquelle sein – und ein Zuversichtsverstärker. Die Spiritualität lässt mich das Wunder meines Da-Seins erkennen und mich manchmal die Gegenwart von etwas Größerem, etwas Allumfassendem erkennen, und dass ich geborgen bin in einer allumfassenden Liebe, die es gut mit mir meint und mich auffängt. „Wir fallen nie tiefer als in Gottes Hand."
Quellen: *Melanie Wolfers, „Zuversicht – Die Kraft, die an das Morgen glaubt“, gutes Leben - bene! Kommentare |